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Mehr als nur Zerstreutheit - ADHS erkennen und verstehen

Viele Erwachsene leiden unter ständiger innerer Unruhe, chronischem Aufschieben oder andauernder Überforderung – ohne zu ahnen, dass ADHS die Ursache sein könnte. Lange wurde ADHS hauptsächlich als Kinder- und Jugenddiagnose betrachtet, doch aktuelle Forschung zeigt, dass viele Betroffene auch noch im Erwachsenenalter Symptome erleben. Eine der größten Herausforderungen? ADHS tarnt sich oft geschickt, da viele Betroffene über die Jahre individuelle Kompensationsmechanismen entwickelt haben, die die Diagnose erschweren. Insbesondere Frauen bleiben häufig unerkannt – und leiden in Folge unter der Belastung von Selbstzweifeln und Stress.


Was ist ADHS und was macht es so besonders?

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine komplexe Entwicklungsstörung, die das Gehirn in der Verarbeitung von Reizen und Impulsen beeinflusst. Ein gestörtes Gleichgewicht der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin führt dazu, dass betroffene Menschen Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit zu regulieren, Impulse zu kontrollieren und manchmal übermäßig aktiv sind. Diese Herausforderungen bleiben im Erwachsenenalter oft bestehen – oder entwickeln sich subtiler weiter, da die hyperaktive Unruhe mit zunehmendem Alter abnehmen und sich in innere Rastlosigkeit verwandeln kann.


Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Frauen zeigen ADHS oft anders als Männer. Während Jungen in der Kindheit meist durch impulsives Verhalten und auffällige Hyperaktivität diagnostiziert werden, äußert sich ADHS bei Mädchen häufig subtiler. Sie tendieren dazu, nach innen gerichtete Symptome wie innere Unruhe, Tagträumen oder emotionale Dysregulation zu zeigen. Frauen werden dadurch häufig erst im Erwachsenenalter diagnostiziert, oft dann, wenn das Leben komplexer wird (Beruf, Partnerschaft, Familie). Männer hingegen zeigen oft äußerlich sichtbare Symptome wie spontane Entscheidungen, eine niedrige Frustrationstoleranz und impulsives Verhalten.


Versteckte Symptome

Viele Erwachsene mit ADHS haben über die Jahre unbewusst Strategien entwickelt, um ihre Schwierigkeiten zu überspielen. Diese „Kompensationsmechanismen“ sind vielfältig und beinhalten unter anderem das intensive Strukturieren des Alltags, um Konzentrationsprobleme in den Griff zu bekommen, oder das Vermeiden von schwierigen Situationen. Frauen neigen hier eher dazu, sich stark an soziale Erwartungen anzupassen und ihre Bedürfnisse zurückzustellen, um nicht aufzufallen. Männer zeigen oft vermeidendes Verhalten oder suchen sich ein Umfeld, das mit ihrer Unruhe gut klarkommt – beispielsweise Jobs, die wenig Routine und viel Abwechslung bieten.


Frau am Laptop mit Kopfhörern


Woran kann man ADHS erkennen

ADHS bei Erwachsenen kann sich auf unterschiedliche Weise zeigen und wird oft dann besonders problematisch, wenn der Alltag zunehmend komplexer und anspruchsvoller wird. Hier sind einige klassische und weniger bekannte Hinweise darauf, dass ADHS vorliegen könnte:

  • Konzentrationsprobleme und Ablenkbarkeit: Menschen mit ADHS haben häufig Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit zu steuern. Sie lassen sich leicht ablenken und haben Mühe, Aufgaben abzuschließen – besonders solche, die sie als langweilig empfinden.

  • Vergesslichkeit und Organisationsschwierigkeiten: Dinge zu verlegen, wichtige Details zu vergessen und den Überblick über Aufgaben zu verlieren, sind typische Anzeichen von ADHS. Oft neigen Betroffene dazu, wichtige Termine zu vergessen oder die Haushaltsorganisation als überwältigend zu empfinden.

  • Innere Unruhe und Impulsivität: Während Kinder oft durch äußere Hyperaktivität auffallen, erleben Erwachsene mit ADHS häufig eine innere Unruhe. Viele kämpfen mit impulsivem Verhalten – sie treffen schnelle Entscheidungen, geben Geld spontan aus oder reagieren emotional intensiver.

  • Hyperfokussieren: Ein weniger bekanntes Symptom ist der sogenannte Hyperfokus. Dabei gelingt es Betroffenen, sich in eine Aufgabe regelrecht „zu verlieren“ und diese mit intensiver Konzentration zu bearbeiten – allerdings oft zum Preis anderer wichtiger Aufgaben.

  • Chronisches Aufschieben: Viele Erwachsene mit ADHS neigen dazu, Dinge bis zur letzten Minute aufzuschieben, da ihre Aufmerksamkeit oft erst unter Druck gesteigert wird. Diese „Deadline-getriebene“ Arbeitsweise bringt oft Erleichterung, doch es folgt oft ein Kreislauf aus Selbstvorwürfen und erneutem Aufschieben.

  • Emotionale Dysregulation und Frustration: Eine geringe Frustrationstoleranz und schnelle Reizbarkeit sind häufige, aber oft übersehene Anzeichen. Menschen mit ADHS reagieren intensiver auf stressige oder frustrierende Situationen, was zu Missverständnissen im sozialen Umfeld führen kann.

  • Perfektionismus als Kompensationsmechanismus: Viele Betroffene, insbesondere Frauen, versuchen, ihre Herausforderungen durch übermäßiges Kontrollverhalten oder Perfektionismus zu kompensieren. Dies kann sich durch eine extrem strukturierte Alltagsplanung oder besonders hohe Ansprüche an sich selbst äußern.

  • Probleme mit Routinen und Alltagspflichten: Dinge wie Rechnungen rechtzeitig zu bezahlen, Alltagsaufgaben zu erledigen oder für ausreichend Struktur zu sorgen, können zur Belastung werden. Dies führt oft zu Chaos im Haushalt, ungeordneten Finanzen und einem Gefühl der Überforderung.


Welche Folgen kann ein unerkanntes ADHS haben?

Ein unentdecktes ADHS bleibt nicht folgenlos und kann langfristig starke emotionale und berufliche Auswirkungen haben:

  • Emotionale Folgen: Viele Erwachsene mit unentdecktem ADHS erleben starke Selbstzweifel und das Gefühl, nie „gut genug“ zu sein. Das kann das Selbstwertgefühl beeinträchtigen und zu einer negativen Selbstwahrnehmung führen. Emotionale Schwankungen sind ebenfalls typisch und oft Auslöser für Missverständnisse im sozialen Umfeld.

  • Psychische Begleiterkrankungen: Studien zeigen, dass Erwachsene mit ADHS ein erhöhtes Risiko für zusätzliche psychische Erkrankungen haben, insbesondere Depressionen und Angststörungen. Dies ist oft eine Folge der ständigen Überforderung und des Gefühls, den Anforderungen nicht gerecht zu werden.

  • Karriere- und Finanzprobleme: Die Herausforderungen im Beruf und im Umgang mit Finanzen können zu einer instabilen beruflichen Laufbahn und damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten führen. Unbehandelte Konzentrationsprobleme und Impulsivität erhöhen das Risiko, in der Karriere nicht voranzukommen oder unter den eigenen Möglichkeiten zu bleiben.

  • Beziehungsbelastungen: Die Unfähigkeit, sich an Abmachungen zu halten, Impulsivität und ein erhöhtes Konfliktpotenzial belasten zwischenmenschliche Beziehungen erheblich. Insbesondere Partnerschaften leiden häufig unter der unentdeckten Störung, da die Symptome von ADHS als Desinteresse oder Unzuverlässigkeit interpretiert werden können.


Fazit

ADHS im Erwachsenenalter ist ein oft übersehenes Thema, das jedoch viele Lebensbereiche beeinflussen kann. Der Weg zur Diagnose ist häufig lang, da Erwachsene mit ADHS oft nicht wissen, woher ihre Schwierigkeiten kommen, oder sie als „Charakterschwäche“ deuten. Wer sich in den beschriebenen Symptomen wiedererkennt, sollte die Möglichkeit einer ADHS-Diagnose in Betracht ziehen. Eine Behandlung, die auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist, kann helfen, ADHS besser zu managen und die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.




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